16 September, 2020

Deutsche Teeforschung

Mal ehrlich, woran denken Sie, wenn Sie den Begriff „Deutscher Tee" hören? Nun, über 30 Jahre lang ging meine Priorisierung bezüglich dieses Gedankengangs mehr oder weniger in diese Richtung:  

  1. Ostfriesenmischung - das tranken meine Landsleute (m/w/d) zuerst in der nordwestdeutschen Region. 
  2. Asiatischer Tee, der von Händlern der Deutschen Hanse importiert und gemischt und/oder umverpackt wurde, vorwiegend für den Vertrieb in Kontinentaleuropa.
  3. Humoristischer Umschreibung für Bier.

Zumindest war es das, was ich dem deutschen Tee zuschrieb - bis vor etwa fünf Jahren, als ich kurz über ein Ehepaar las, welches angeblich einen kleinen Teegarten namens Tschanara im Dorf Odenthal-Scheuren (etwa 20 km entfernt vom Kölner Dom) betrieb. Bald nachdem ich sie wahrgenommen hatte, hatte ich sie schon wieder vergessen. 

Ich meine, ernsthaft, Tee aus Deutschland? Wer braucht denn das? Dachte ich zumindest. Während ich mein jüngstes Buch über Tee schrieb und mehr als 1.000 verschiedene Tees von mehr als 70 Händlern und aus etwa zwei Dutzend Teeanbauländern verkostete, kam es mir ebenfalls nie in den Sinn, mich über deutschen Tee zu informieren. Schuldig im Sinne der Anklage, ich hätte es besser wissen können.

Die Lage

Der Teegarten liegt in einer Region namens Bergisches Land und seine Erzeugnisse werden Bergischer Hochlandtee genannt, was eine recht kühne Bezeichnung ist. Die Höhenlage des Gartens beträgt 213 m, was nicht direkt „hoch" ist, aber warum wird die Region dann "Bergisch" genannt? Es gibt eine einfache Antwort darauf, das ehemalige Herzogtum erhielt seinen Namen von den Grafen von Berg. Aber Berge gibt es nicht gar so viele. Jedenfalls ist die Region maximal 519 Meter hoch und gilt damit "legal" als Hochlandregion. Daher nannte Tschanara seine Erzeugnis eben Hochlandtee. Darüber hinaus erzählte mir das Gründerehepaar, dass sie beide Whiskey aus bestimmten europäischen Höhenlagen mögen, so dass sie das Hochland wahrscheinlich einfach nicht aus ihren Köpfen - oder Gaumen - bekommen.

Tschanara
Pubilimba im Gewächshaus von Tschanara ©Tschanara Teagarden

Wie alles begann

Mitte der achtziger Jahre lernte der Deutsche Wolfgang Bucher beim Besuch des Ssanggyesa-Tempels in Korea seine zukünftige Frau Haeng ok Kim kennen. Da sie beide eine Vorliebe für Tee hatten, brachten sie oftmals Teesamen von ihren Reisen durch Asien mit nach Deutschland und begannen vor mehr als 20 Jahren, sie auf einem halben Hektar Land anzupflanzen. Passiert das nicht allen von uns? Man bringt einen Blumensetzling mit nach Hause, pflanzt ihn in den Garten und hat am Ende in etwa ein Fußballfeldes voll davon. Das passiert doch immer wieder, nicht wahr? 

Obwohl Wolfgang Bucher im Bereich der Pflanzenwissenschaften tätig war, betrachtete das Ehepaar Tschanara immer als Hobby, daher hier ein kleiner Warnhinweis: Versuchen Sie nicht, Tee auf der Internetseite von Tschanara zu bestellen. Sie verkaufen (noch) keinen Tee. Auch wenn sich dies in der Zukunft ändern könnte, bieten sie derzeit aber gelegentlich Workshops oder Verkostungen an, für die man sich diesbezüglich an sie wenden kann. Falls Sie sich partout nicht davon abhalten lassen wollen, selbst einen Teegarten anzulegen, können Sie sie auch bitten, Ihnen Saatgut zu einem Preis zu verkaufen, der mir weit unter den Kosten zu liegen scheint. Bitte belästigen Sie sie auch in diesem Fall nicht wegen nur einer Handvoll, aber wenn Sie wirklich Land (und nicht nur einen Garten) besitzen und es Ihnen ernst damit ist, dann könnte es sein, dass die Inhaber sich jedes Jahr von ein paar hundert Samen oder Setzlingen trennen. 

Das Ziel

Tschanara verfolgt drei Hauptziele:

  1. Qualitätsoptimierung bei der Produktion von grünem, Oolong und schwarzem (rotem) Tee.
  2. Auswahl und Züchtung der besten Sorten für den oben genannten Zweck.
  3. Züchtung von Sorten mit besserer Frost- und Dürreresistenz.

Während das Klima meist mild ist, kommt es im Winter gelegentlich zu Frost mit Temperaturen von bis zu -15°C. Solange aber die Wurzeln mit Stroh abgedeckt werden, damit sie nicht frieren, leiden die Pflanzen nicht. Die Blätter vielleicht, aber das lässt sich durch die richtige Bestimmung des idealen Zeitpunktes für den Rückschnitt und dergleichen regeln.

Dank der globalen Erwärmung wird Frost in dieser Region in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach kein großes Thema mehr sein, aber durch die globale Erwärmung wird sich auch das Wasser knapper werden. Tschanara bereitet sich darauf vor.

Was Tschanara wirklich ist

Warum verkauft ein Teegarten keinen Tee? Die Antwort ist sowohl einfach als auch ziemlich kompliziert. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, wie viel Arbeit es ist, in einem Garten Hunderte von verschiedenen Sorten und Kultivare zu pflanzen und zu pflegen. Ich nehme an, kein normaler Teebauer würde sich auf diese Maloche einlassen, er muss sich vielmehr auf einige wenige Sorten konzentrieren, um marktreife Mengen bestimmter Teesorten zu produzieren. Ausserdem studieren die Tschanara-Besitzer jede Pflanze akribisch und konzentrieren sich darauf, diejenigen Pflanzen zu züchten, die am resistentesten gegen Krankheiten sind und sich am besten an das lokale Klima, das Terroir, und die lokalen Mikroorganismen anpassen. Guter Geschmack ist ebenfalls wünschenswert, wenn es um die Auswahl von Pflanzen für die weitere Verwendung geht, und auch die Züchtung auf hohen Ertrag wäre ein wichtiges Ziel, aber immer eins nach dem anderen. Übrigens sind inzwischen fast alle japanischen Hochertragspflanzen der Sorte Yabukita** von Tschanara abgestorben, was eine Massenproduktion nicht gerade erleichtert. 

Tschanara nur als Teegarten zu bezeichnen, ist eine deutliche Untertreibung, wenn Sie mich fragen. Ich sehe es eher als ein privat geführtes und finanziertes Teeforschungsinstitut***. Ihre Saaten und manchmal auch Setzlinge stammen aus China, Taiwan, Japan, Korea, Vietnam, Laos, Myanmar und vielen anderen Ländern, und sie machen nicht bei Camellia sinensis var. sinensis und var. assamica halt, sondern züchten auch var. formosensis oder var. pubilimba etc. Wer einmal Tee aus var. taliensis (recht häufig bei Tees aus Yunnan) probiert hat, weiss sicher, wie unterschiedlich das Geschmacksprofil bei verschiedenen Sorten ausfallen kann.

Ich möchte wetten, dass es weniger als eine Handvoll Orte außerhalb Asiens und Ostafrikas gibt, an denen Sie eine so große Sammlung verschiedener Teepflanzen finden können, aber ich werde weitersuchen.

Die Ernte 2019 erbrachte insgesamt weniger als sechs Kilogramm fertigen Tee, und Frau Kim musste mehr als 125 Mikrochargen manuell herstellen. Offensichtlich kann man das kaum mit einem Preisschild versehen, oder anders ausgedrückt, der faire Preis pro Gramm müsste derzeit im Bereich der besten Tees der Welt liegen.

Die Verkostung

Geduld, junger Padawan, dazu komme ich gleich. Ursprünglich wollte ich nur über die Verkostungserfahrung schreiben, aber dann habe ich es mir anders überlegt. Ich denke, es macht wenig Sinn, die Verkostungsnotizen von 25 Tees (aller Farben) hier hineinzuquetschen oder Ihnen eine Tabelle mit Teenamen entgegen zu werfen, die Sie sich wohl niemals beschaffen können. Es gibt keine Garantie dafür, dass Frau Kim nächstes Jahr wieder Material von einem bestimmten Busch oder einer Gruppe von Büschen verwenden wird; und wenn sie es doch tut, wird sie vielleicht aus diesem Material eine andere Teesorte produzieren - und diese würde ohnehin nicht zum Verkauf stehen. Daher entschied ich mich, Ihnen lieber eine Zusammenfassung der Glanzlichter und (falls vorhanden) Schatten zu geben.

Ich habe eine ordentliche Anzahl von Verkostungen allein durchgeführt, aber auch einige zusammen mit unserer lokalen TeaNuts-Gruppe. Einer der Tees, die wir verkosteten, war ein 2019er Heicha (Sheng-Stil), der aus einer taiwanesischen Großblattsorte hergestellt wurde. Ich habe noch drei weitere Heicha zu prüfen, es handelt sich also nur um ein Zwischenurteil, auch hatte dieser zeitlich noch nicht die Chance, wesentlich nachfermentiertes Aroma zu entwickeln. 

Normalerweise blogge ich nicht über Tee, den ich nicht mochte, sondern schweige dann lieber, aber in diesem Fall muss ich erwähnen, dass die Inhaber mir eigentlich ihren Heicha gar nicht zu Verkostung überlassen wollten, weil sie selbst noch im Versuchsstadium sind. Sie haben sich schließlich doch damit einverstanden erklärt, mir einige davon zur Verfügung zu stellen, vermutlich um mich damit endlich zum Schweigen zu bringen.   😁 

Was war also stimmte nicht mit diesem 2019er Sheng? Nicht viel, aber wir dachten, es könnte ein kleiner Fehler im Sha-Qing- oder Kill-Green-Prozess vorgelegen haben. Obwohl das visuelle Erscheinungsbild wie bei einem mehr als 10 Jahre alten Sheng war, schmeckte er eher wie ein junger Mao Cha mit wenig Aroma und nur ein wenig Bitterkeit - ich denke, wir müssen es in ein paar Jahren noch einmal versuchen.


Mini Heicha im Sheng-Stil (45g)

Ferner gab es einen Zairai (japanisch, gepflanzt 2001), bei dem die trockenen Blätter nach Pepsi und der Sud ein wenig nach Jin Jun Mei rochen, was insgesamt mehr versprach als erfüllte. Vielleicht wäre ein bisschen mehr Oxidation von Vorteil gewesen - hier kann man nur raten. Auch wenn er etwas schwach war, so war er doch absolut in Ordnung, aber nicht der beste seiner Art.

In unserer jüngsten Teerunde hatten wir auch zwei der grünen Tees, einen Sayamakaori (japanischer Kultivar, gepflanzt 2001) und einen Chaerejeong (koreanische Samen, gepflanzt 2013). Wenn man keine Dämpfungsgeräte besitzt, kann man nur begrenzt viel erreichen, wenn man versucht, einen japanisch anmutenden Teegeschmack zu erzeugen, und das war wahrscheinlich noch nicht einmal die Absicht von Frau Kim. Dennoch gefiel mir der Sayamakaori absolut gut, er schmeckte eindeutig "japanisch" und war leicht auf der Zunge. Die Gruppe war ganz zufrieden mit ihm, aber dann hat der Chaerejeong uns wirklich umgehauen! Entspannter, selbstbewusster, viel besser und sogar ein vierter Aufguss brachte noch etwas in die Schalen - er muss sich nicht hinter einer Spatzenzunge aus Korea verstecken. 

Da Frau Kim aus Korea stammt, könnte man einfacg "quelle surprise", sagen, aber sie verfügt über keine formale Ausbildung in der Teeproduktion, ihre ganzen Kompetenzen sind autodidaktisch, und ihre begrenzte Ausrüstung und die Notwendigkeit, hauptsächlich Mikrochargen zu produzieren, macht die Qualität, die sie erreicht, noch bewundernswerter.

Green tea made in Germany

Green tea made in Germany

Green tea made in Germany
Grüner Tee made in Germany

Zwei weiße (Assamica-)Tees (einer aus Nantou, Taiwan, und der andere eine Mischung aus burmesischen und laotischen Sträuchern, deren Samen 2016 bzw. 2017 gepflanzt wurden) wurden ebenfalls probiert und schienen absolut marktreif zu sein. Nichts zu beanstanden - ersterer sehr stark, letztere weniger kräftig. Da ich mich mehr für gealterte denn frische weiße Tees interessiere, würde ich sie nach mindestens fünf oder sieben Jahren Alterung gerne noch einmal probieren, aber die winzigen Probemengen werden sicher schon den nächsten Monat nicht mehr erleben.

White tea made in Germany
Weißer Tee made in Germany

Und der Gewinner ist...

Das Liebeslied, das Coldplay angeblich über Gwyneth Paltrow gemacht haben soll, könnte durchaus die Hintergrundmusik für den Höhepunkt der Sitzung gewesen sein: Yellow. Die Blätter, die wir bereits in Grün verkostet hatten, waren auch zu gelbem Tee verarbeitet worden. Obwohl ich gelegentlich den ganz besonderen Geschmack von hochwertigen gelben Tees genieße, habe ich hier nicht zu viel erwartet, zumal ich weiß, dass einige Teehersteller immer noch versuchen, unsachgemäß hergestelltes Grün als gelben Tee zu verkaufen.

Die japanische Sorte lieferte eine anständige Tasse, gut abgerundet und zart, aber der genetisch koreanische Chaerejeong (produziert im etwas anderen Hwangcha-Stil) hat uns alle vom Hocker gehauen. Die einstimmige Entscheidung war, dass dies der beste gelbe Tee war, den wir je hatten. Getrocknete Blüten auf frischem Heu, süße Zuckerwatte und Litschi waren nur einige unserer Beobachtungen. Ich bewertete ihn in meiner persönlichen Teedatenbank mit drei Sternen (wobei drei die höchste Bewertung ist), denken Sie an Nadia Comăneci oder Bo Derek (perfekte Zehner auf ihrem jeweiligen Gebiet). Irre! 

Yellow tea made in Germany

Yellow tea made in Germany

Yellow tea made in Germany
Gelber Tee made in Germany

Zusammenfassend denke ich, dass das, was Frau Kim zu leisten vermag, einfach erstaunlich ist. Die besten Partien könnten leicht zu Preisen von über einem Euro pro Gramm verkauft werden.

Sonst noch was?

Es ist sicherlich erwähnenswert, dass Tschanara nie chemische Dünger oder Pestizide verwendet hat, was dem begeisterten Trinker ein noch besseres Gefühl gibt und die Tees auch ein wenig ähnlich schmecken lässt wie andere aus biologischem oder pestizidfreiem Anbau. Sie wissen, was ich meine, nicht wahr? Etwas weniger stark, etwas subtiler, manchmal so, als ob er ein bisschen Kraft vermissen ließe, während er auf der anderen Seite entspannter wirkt. Wirklich angenehm. Umso mehr, als wir es nur bis zur Hälfte der Proben geschafft haben, es gibt also noch mehr zu testen. Köstlich!

Natürlich kann man den Dom besuchen, wenn man in Köln vorbeikommt, aber es gibt jetzt Alternativen...


* Betrachten Sie ihn als etwas Ähnliches wie englischen/ schottischen/ irischen/ walisischen Frühstückstee, nur passender für die lokale Wasserqualität und die Geschmacksvorlieben der Friesen.

** Die meist verbreitete Sorte in Japan.

*** Die Eigentümer wirken viel zu bescheiden, um sich so zu bezeichnen. Sie studieren die Pflanzen nicht in einem Labor oder untersuchen ihren genetischen Code, doch sie gehen sicherlich weit über die reine Landwirtschaft hinaus.

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